essays

~

aus unserer Entwicklungsabteilung

„skating away on the thin ice of the new day“ (Jethro Tull)


Die Schöpfung von Wert und Sinn – warum Unternehmen in der globalisierten Welt kulturelle Verantwortung übernehmen

Im Grunde besteht Einigkeit: im Orchester gesellschaftlicher Kräfte spielt „Wirtschaft“ seit jeher mit den ihr eigenen Instrumenten eine konstitutive Rolle. Diese besteht zunächst in der Wahrnehmung von Produktion und Logistik, die auf die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen zielen. Unternehmen sind Organisationen, die ihren Mitarbeitern Arbeit, Referenzsysteme und eine Alttagsstruktur vermitteln. Sie bilden eine zentrale Aufgabe gesellschaftlicher Organisation ab- und setzten sie um. Sie haben wie die „Musik“ „für die kulturelle Evolution eine gesellschaftsschaffende und –begleitende Funktion“ (vgl. Rösing in: MF 4, 2008, S. 9). Die strukturgebenden Akteure müssen jedoch miteinander korreliert werden. Sie stehen sich nicht einander gegenüber, sondern haben ihre eigene Formensprache zur Bearbeitung gesamtgesellschaftlicher Entwicklung. So bildet z.B. die Herstellung von Musikinstrumenten eine organische Brücke zwischen Musik und Wirtschaft: Unternehmen stellen die Werkzeuge und Arbeitsmaterialien der Musikschaffenden zur Verfügung. Die Gestaltung der Wertschöpfungskette, also die Auswahl von Materialien und Arbeitsweisen geschieht in einem sozialen, ökologischen und kulturellen Kontext, der den ökonomischen Erfolg der Unternehmen bestimmt. Kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung sind eng verwoben (vgl. Jones, Making Music, Harare 1992).

„Wirtschaft“ ist ebenso wenig homogen wie „Musik“: wir haben es jeweils mit einer Vielfalt von Stilrichtungen, kulturellen Herkünften und Funktionen zu tun, so dass sich der Blick auf die konkreten Akteure richtet. Wirtschaftsunternehmen haben eine gute Tradition als Förderer musikschaffender Akteure. Neben der notorischen Unterfinanzierung von Komponisten und Musikern haben sich Strukturen herausgebildet, die heute eigene wirtschaftliche Branchen darstellen. Musiktreibende stehen vor der Aufgabe, Produktion, Vertrieb und als Beitrag zur Kulturentwicklung zu verstehen. Heute entstehen auf der Schnittstelle von Wirtschaft und Musik professionelle Organisationen, in deren Kontext sich neue Gruppen (communities) bilden, die zwar als „Befehlsempfänger einer Popmusik-Wertschöpfungsmaschinerie“ (Rösing in MF 4, 2008, 12) kritisch beäugt werden können, jedoch abseits formaler Ausbildung und der Orientierung an dem „Schönen, Wahren, Guten“ weltweit kulturprägend sind. Das die Skepsis an den neuen Gruppen und Arbeitsweisen der Musikbranchen auslösende Ideal der „Orchesterkultur pur“ hat z.B. Christian Gansch beschrieben: Der Dirigent „war ganz und gar, ohne jegliche Pose, auf das Wesen der Musik konzentriert. Ein lebendiges, neugieriges Miteinander entwickelte sich, eine fließende Wechselbeziehung aller beteiligten Kräfte“ (Vom Solo zur Sinfonie, 2006, 12). Viele der neuen communities lenken den Blick auf vielleicht nicht ideale, doch im komplexen Strudel moderner Welten alltäglich erfassbare kulturelle Anknüpfungen. Sie bestätigen die Funktion von Musik als symbolischer Repräsentation, Lebensstile zu konstituieren und sozial zu normieren (vgl. Rösing, 10), reihen sich in ihrer Unvollkommenheit in das Weltorchester der Lebens- und Kulturweisen ein. Als Reaktion auf die Erfahrung lokaler sozialer, ökologischer und kultureller Lebensbedingungen in einer brasilianischen Favela hat José Junior mit „AfroReggae“ ein Projekt gegründet, aus dem mittlerweile ein global aktives Unternehmen geworden ist.

Akteure des Bereiches „Musik“ bewegen sich in einem kulturdiversen Umfeld, das sie vor interkulturelle Erfahrungen und Herausforderungen stellt: „Afrikanische Musik folgt ihren eigenen Regeln, die nicht notwendigerweise mit den westlichen Standards übereinstimmen. Sie ist eine eigene Kunstform, die in ihrer jeweiligen Gesellschaft eine funktionale Aufgabe hat, ohne die das tägliche Leben nicht auskommt.“ (Axelsson, Notes on african musical instruments, Bulawayo 1982). Auf das gleiche Phänomen müssen sich Akteure in Wirtschaftsunternehmen einstellen: Ihre Anstrengungen zielen auf die Gestaltung des täglichen Lebens, das jedoch längst nicht so homogen ist, wie es die Rede von der globalisierten Welt vermuten lässt. Unternehmen müssen deshalb ihre eigenen Ziele, Formen und Arbeitsweisen in konkreten Kontexten verorten, neue Instrumente und Strategien entwickeln. Diese kulturelle Kreativität verbindet sie mit dem Bereich „Musik“, in dem sie mit anderen, z.T. von wirtschaftlicher Engführung befreiten Formen der Kulturbildung erlernen und aufgreifen können.

In den modernen Gesellschaften beanspruchen wirtschaftliche Paradigmen eine zentrale Funktion, wodurch ihre Akteure sowohl als Dirigenten als auch als Musiker wahrgenommen werden. Tatsächlich existieren Unternehmen, deren Bilanzsumme höher als der Finanzhaushalt der Staaten ist, in denen sie aktiv sind. Die als Übermacht wahrgenommene ökonomische Logik muss jedoch zur kulturellen Ver(antw)ortung gezogen werden. Durch die Einbindung in die gesellschaftliche Entwicklung entstehen neue Kooperationsfelder zwischen den Akteuren, die über das Sponsoring, Lobbying und Kulturförderung hinausgehen. Statt Musikförderung als Finanzierung eines externen Bereiches zu verstehen, können Unternehmen diese Kooperationen als Innovationsfelder entdecken, in denen die Zukunft der Gesellschaften entwickelt wird. Wirtschaft sorgt dann über die Entwicklung neuer Märkte und die Gestaltung von Wertschöpfungsketten für die materiale Grundlage, Produktionsprozesse und Gestaltung der Arbeits- und Lebensverhältnisse.

Unternehmen haben die Aufgabe, mit den ihnen eigenen Mitteln aus der Schnittmenge ihrer Unternehmenskultur, der sie umgebenden Landeskulturen und der Nachhaltigkeitskultur zur Weiterentwicklung der Lebensverhältnisse beizutragen. Nachhaltigkeit umfasst dabei soziale, ökologische und kulturelle Dimensionen (vgl. Ries, Kulturverträgliches Management). Unternehmen haben sie die Möglichkeit, nicht allein Wert, sondern auch Sinn zu schöpfen. Beides schlägt sich im wirtschaftlichen Erfolg des jeweiligen Unternehmens nieder. Wie alle anderen kulturschaffenden Akteure können sie damit auch scheitern: sie können Unsinn schaffen und Werte vernichten. In der Orientierung an der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung ist die Wirtschaft in die Kollegialität der anderen Instrumentengruppen eingebettet.

weitere Essays finden Sie in der Bibliothek